Wie gro? sind die Potenziale von PV-Aufdachanlagen bei industriellen Liegenschaften und lassen sich solche Anlagen wirtschaftlich betreiben? Die Beantwortung dieser Fragen ist mit dem Simulationstool SimStadt mit geringem Aufwand m?glich. Es liefert auf der Grundlage verfügbarer 3D-Geb?udemodelle belastbare Informationen für den Entscheidungsprozess.
Forschende vom Zentrum für nachhaltige Energietechnik der HFT Stuttgart zeigen dies am Beispiel einer Industrieliegenschaft am Standort Schwieberdingen der Robert Bosch GmbH.
Zwar waren in Deutschland Ende 2020 bereits Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von 53 GW installiert, jedoch besteht vor allem im Aufdachbereich ein gro?es Potenzial von insgesamt 400 bis 500 Gigawatt für zus?tzliche Anlagen, so das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesystem ISE in ? Aktuelle Fakten zur Photovoltaik in Deutschland“ vom 19. Dezember 2020.
Besonders attraktiv sind dabei Industrieliegenschaften mit gro?en Dachfl?chen und geringen Installationskosten. Um diese gezielt erschlie?en zu k?nnen, sind Tools notwendig, die früh im Planungs- und Entscheidungsprozess auf Basis weniger Eingangsdaten belastbare Informationen zu Kosten und Potenzialen liefern. Ein an der Hochschule für Technik Stuttgart federführend entwickeltes Softwaretool erm?glicht die Ermittlung von stundenscharfen Erzeugungsprofilen und Kosten für PV-Aufdachanlagen auf Basis verfügbarer 3D-Geb?udemodelle. Der gesamte Berechnungsprozess wurde für Industrieanlagen kürzlich am Standort Schwieberdingen der Robert Bosch GmbH erfolgreich validiert.
Transparenter Entscheidungsprozess
Die Untersuchungen haben gezeigt, dass sich auf Basis weniger Eckdaten verl?ssliche Informationen zu installierbaren Potenzialen und zu Kosten von PV-Aufdachanlagen ermitteln lassen. Liegt ein aktuelles 3D-Geb?udemodell vor, k?nnen belastbare Ergebnisse auch für eine gr??ere Liegenschaft in wenigen Stunden erzielt werden. ?Hierdurch wird der Entscheidungsprozess für oder gegen PV-Anlagen am Standort deutlich transparenter und kostengünstiger und es wird es vermieden, entweder rein auf Standardwerte für spezifische Installationskosten und solaren Ertrag zu setzen oder bereits zu Beginn der ?berlegungen eine Detailplanung zu beauftragen“, betonen Andreas Biesinger, Tobias Fischer und Bastian Schr?ter in einem aktuellen Beitrag im Fachmagazin ?ew - Magazin für die Energie-Wirtschaft“ (2-3; 2021). Weiterhin ist es von Vorteil, dass in SimStadt auf Basis der gleichen 3D-Geb?udemodelle zum Beispiel auch W?rmeverbr?uche modelliert und somit integrierte Energieszenarien untersucht werden k?nnen. Darüber hinaus kann mit Insel-Modellen die Wirkung des Nutzens von Batteriespeichern für den Fall berücksichtigt werden, dass die m?gliche Vorortstromerzeugung den Verbrauch übersteigt.
Aufdachanlagen auf industriellen Liegenschaften simulieren
Aufgrund stetig sinkender Modulpreise werden Photovoltaikaufdachanlagen zunehmend auch ohne EEG-F?rderung interessant. Die Wirtschaftlichkeit einer Anlage ist im Einzelfall jedoch von vielen Faktoren abh?ngig. Für Betreiber einer industriellen Liegenschaft ist es daher wünschenswert, früh im Entscheidungsprozess eine verl?ssliche Absch?tzung von Kosten und Potenzialen einer Aufdachanlage zu erhalten. Diese sollte einerseits lokale Spezifikationen wie Dachgr??e, Sonneneinstrahlung und Verschattung berücksichtigen, andererseits aber nicht den Aufwand, den Datenbedarf und die Kosten einer detaillierten Anlagendimensionierung bedingen.
![[Bild: HFT]](/fileadmin/Dateien/Forschung/_processed_/2/8/csm_SimStadt_Abbildung_1_dd31500ee6.jpg)
Ersteinsch?tzung auf Basis von 3D-Geb?udemodellen
Die an der Hochschule für Technik (HFT) Stuttgart federführend entwickelte Simulationsumgebung SimStadt leistet eine derartige Ersteinsch?tzung auf Basis von deutschlandweit generell verfügbaren 3D-Geb?udemodellen. PV-Aufdachpotenzialanalysen mittels SimStadt wurden bisher vor allem im Wohngeb?udebereich erfolgreich durchgeführt, zum Beispiel in einer Referenzstudie Ludwigsburg Grünbühl für SimStadt.
Kürzlich wurde die Methodik am Standort Schwieberdingen der Robert Bosch GmbH (Bild 1) erstmals für eine Industrieliegenschaft validiert. Neben installierbarer Leistung und zu erwartender stündlicher Stromerzeugung wurden die Installations- und Stromgestehungskosten der Anlagen auf Basis dynamischer spezifischer Kosten simuliert, und es wurde untersucht, inwieweit die Ergebnisse für eine grunds?tzliche Investitionsentscheidung sowie als Grundlage für eine Detailanalyse verwendet werden k?nnen. Die Studie wurde im Rahmen der Forschungspartnerschaft iCity an der HFT Stuttgart durchgeführt, an der die Robert Bosch GmbH ma?geblich beteiligt ist. Ziel der Projekte von iCity ist es, ganzheitlich-nachhaltige L?sungen für urbane Quartiere und Regionen zu entwickeln.
Simulationsplattform SimStadt
SimStadt ist eine urbane Simulationsplattform, die Projektentwickler, Immobilienbesitzer, Energieversorger, Kommunen oder Landkreise unterstützt, auf Quartiersebene Strom- und W?rmenachfragen sowie Potenziale erneuerbarer Energien zu bestimmen. Der Anspruch von SimStadt ist dabei nicht, in Konkurrenz zur Genauigkeit detaillierter Planungstools zu treten, sondern vielmehr früh im Entscheidungsprozess auf Basis weniger Eingangsdaten belastbare Informationen zu Kosten und Potenzialen angestrebter L?sungen zu liefern. In SimStadt werden 3D-Geb?udemodelle im Dateiformat CityGML verwendet (Bild 1), um in Workflows Bedarfs- und Potenzialanalysen wie Heizw?rmebedarfe, energetische Sanierungsoptionen, Dimensionierung (erneuerbarer) Heiztechnologien, PV-Potenziale, Wasserverbr?uche sowie Biomassepotenziale zu erstellen und stufenlos vom Quartier bis zum Landkreis zu analysieren. Die Anwendungsszenarien werden dabei laufend weiterentwickelt. Neben der bisherigen Desktopversion befindet sich eine browserbasierte Webversion in der Testphase.
Simulation und Analyse von PV-Aufdachanlagen
Für die PV-Aufdachanalyse in SimStadt wird zun?chst die stündliche solare Einstrahlung auf das 3D-Geb?udemodell über ein Jahr aus lokalen Wetterdatens?tzen errechnet, wofür die dynamische Simulationsumgebung Insel genutzt wird. Aufgrund der Verwendung von 3D-Modellen auf CityGML-Basis lassen sich im Vergleich zur Nutzung von aus Luftbildern oder Grundrissen generierten Modellen deutlich genauere Potenzialberechnungen durchführen. Vor allem k?nnen dadurch verschiedene Strahlungsmodelle sowie Verschattungseffekte durch Nachbargeb?ude und unterschiedliche Dachh?hen innerhalb eines Geb?udes berücksichtigt werden. Aus der stündlichen Fl?cheneinstrahlung wird über das Verh?ltnis von Modulfl?che zu Dachfl?che das installierbare Potenzial (in kWp) errechnet. Als Input für diese Analysen genügt das 3DGeb?udemodell im CityGML-Format.
Datenbasis für die Simulation
Grunds?tzlich k?nnen diese Daten deutschlandweit über die Landesvermessungs?mter bezogen werden. Trotz fortlaufender Datenaktualisierung k?nnen jedoch, wie im Fall des Standorts Schwieberdingen, vor allem für gr??ere Industrieliegenschaften aufgrund h?ufiger An- und Umbauten veraltete oder lückenhafte Daten vorliegen. Fehlende Geb?udeinformationen liegen naturgem?? bei sich in Planung befindenden Liegenschaften vor. Um die Lücke fehlender Geb?udeinformationen zu schlie?en, wurde zun?chst untersucht, inwieweit mittels frei verfügbarer Software wie Google Maps/Earth und OpenStreetMap (OSM) in Verbindung mit der weit verbreiteten 3D-Geb?udedesign-Software SketchUp ein 3D-Geb?udemodell aktualisiert werden kann.
![[Bild: HFT]](/fileadmin/Dateien/Forschung/_processed_/c/5/csm_SimStadt_10_fda3788476.png)
Potenzialermittlung
Mit einem festgelegten Fl?chenfaktor von 0,3 für die geeigneten Geb?ude ergibt sich für den Standort Schwieberdingen eine installierbare Leistung von 1,5 MWp zus?tzlich zur bereits bestehenden Leistung von 0,8 MWp. Auf den Parkpl?tzen der Liegenschaft l?sst sich durch deren ?berdachung ein weiteres Potenzial von 7 MWp (Fl?chenfaktor 0,6) realisieren, womit j?hrlich in Summe zus?tzliche 9,2 GWh Strom bei südlicher Ausrichtung der Module erzeugt werden k?nnen. Im Fall des Standorts Schwieberdingen lassen sich 99,5 % der erzeugten Strommenge vor Ort nutzen. Eine Installation von Batteriespeichern ist für eine Optimierung des Eigenverbrauchs damit nicht vorgesehen. Die solare Abdeckung des Strombedarfs erreicht im Jahresmittel 16 %.
Wirtschaftliche Betrachtung
Neben der installierbaren Leistung ist ein frühzeitiges Absch?tzen von Investitionskosten, Amortisationszeit und Stromgestehungskosten (Levelized Cost of Electricity, LCOE) einer Anlage entscheidend. In SimStadt wurden bisher konstante spezifische Installationskosten durch eine degressive Kostenfunktion ersetzt. Das hei?t, die spezifischen Installationskosten (in €/kWp) nehmen mit der Anlagengr??e ab (von 1?775 €/kWp für 1?kWp bis 1?328 €/kWp für 100 kWp). Die Werte k?nnen dabei individuell angepasst werden. Für den Standort Schwieberdingen ergeben sich für die nutzbaren Geb?udefl?chen damit Installationskosten von 3,2 Millionen Euro. Unter der Annahme, dass die spezifischen Installationskosten für Parkplatzüberdachung ?hnlich sind, ergeben sich Gesamtkosten von 10,2 Millionen Euro. Die Stromgestehungskosten variieren bei einer angenommenen Anlagenlebensdauer von 20 Jahren zwischen 12,7 Ct/kWh und 18,9 Ct/kWh und liegen ab einer Anlagengr??e von 45 kWp unter den Strombeschaffungskosten am Standort, sodass die Anlagen somit wirtschaftlich interessant sind.
Den ungekürzten Beitrag finden Sie in https://emagazin.ew-magazin.de/ M?rz 2021
Weiterführende Links:
SimStadt – ?berblick und Projektziele. https://simstadt.hft-stuttgart.de/de/
Referenzstudie Ludwigsburg Grünbühl für Simstadt http://simstadt.hft-stuttgart.de/de/examples.jsp
Forschungsprojekt iCity. http://icity.hft-stuttgart.de/#/